Kommunen und weitere Akteure übertreffen sich derzeit mit Aktivitäten zur Ausweisung von Freiflächen-Photovoltaik und Solarparks. Gemeinden erstellen Kriterienkataloge, Projektierer*innen beknien Grundstücksbesitzer*innen, ihre Äcker und Wiesen für die Freiflächen-Photovoltaik herzugeben. Es herrscht Goldgräberstimmung! Schließlich sollen die Unmengen von Photovoltaik-Modulen, die auf dem Markt sind, irgendwo verbaut werden. – Gut so, meinen die Einen. Klimaschutz steht über allem! Doch ich melde Bedenken an und fordere, erst einmal einen Schritt zurückzutreten und die Folgen einer forcierten Ausweisung zu bedenken.
Gravierende Auswirkung auf die Agrarstruktur
Der rasche Ausbau (beziehungsweise lediglich die Projektierung) der Freiflächen-Photovoltaik hat nämlich weitreichende Folgen für die Agrarstruktur in landwirtschaftlich geprägten Regionen.
Pachtpreise (und Kaufpreise) für landwirtschaftliche Flächen steigen. Äcker und Wiesen werden mancherorts zum raren und teuren Gut, bedingt auch durch Siedlungs- und Gewerbebau. Ein kleiner
landwirtschaftlicher Betrieb kann die hohen Pachtpreise oft nicht mehr aufbringen und muss womöglich aufhören. (Dazu muss man wissen, dass landwirtschaftliche Betriebe nicht nur eigenes Land, sondern
auch Pachtflächen bewirtschaften, über die sie nicht verfügen können. Häufig macht der Anteil der Pachtfläche mehr als die Hälfte aus. In Baden-Württemberg lag der Anteil der Pachtflächen an der
Landwirtschaftlichen Fläche im Jahr 2023 bei 60,7 Prozent!) Ursache für den Run auf die landwirtschaftlichen Flächen ist, dass sich mit Photovoltaik (und Windkraft) eine höhere Rendite erzielen lässt
als mit dem Anbau von Weizen, Raps oder Mais. Auch Biolandwirte, die wie alle anderen ebenfalls Pachtland bewirtschaften, haben bei der Konkurrenz um die Fläche das Nachsehen. Höhere Pachtpreise
müssen die Bauern zunächst einmal erwirtschaften.
Flächenbilanz ziehen
Nach meiner Einschätzung ist Übereifer beim Planen von Freiflächen-Photovoltaik (FFPV) fehl am Platz. Denn in manchen Regionen wie beispielsweise in der Region Heilbronn-Franken, in der ich lebe,
wird das Ausbauziel nach dem Solarpaket 1 der Bundesregierung mit laufenden Solarpark-Projekten bereits jetzt erreicht.
Eine weitere Projektierung und Ausweisung von Flächen auf Wiesen und Äckern ist demzufolge in meiner Region derzeit nicht nötig. Auch die privilegierte Ausweisung entlang von Autobahnen und zweispurigen Bahnlinien, die das neue Gesetzespaket vorsieht, wäre dann überflüssig. In anderen Regionen Deutschlands dürfte es genauso sein. Zumal die Stromnetze so schnell gar nicht ausgebaut werden können und der Strom ohnehin nicht überall und nicht sofort ins Stromnetz eingespeist werden kann. Da sollte vor weiteren Planungen auf kommunaler, regionaler und Landesebene eine Flächenbilanz gezogen und dabei die Stromnetze mit bedacht werden. Die Fäden dafür laufen bei der Bundesnetzagentur zusammen. So ließe sich vermeiden, dass ausufernd überall Freiflächen-Photovoltaik-Projekte (FFPV) gestartet werden, die womöglich wegen fehlender Einspeisemöglichkeit ins Netz doch nicht oder mit langer Verzögerung verwirklicht werden können. So ist es bei einer bereits vor zwei Jahren genehmigten FFPV-Anlage in meiner Gemeinde, bei der sich der Anschluss an den weit entfernten Einspeisepunkt als schwierig gestaltet.
Letztlich geht es doch um eine möglichst effektive Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien und nicht darum, Wiesen und Äcker mit Photovoltaikmodulen zu belegen – zum Nutzen einer kleinen Gruppe von Photovoltaik-Profiteuren. Der Druck auf die Fläche – der „Flächenfraß“ oder, wie es jetzt heißt, die „Flächeninanspruchnahme“ – darf nicht weiter forciert werden.
So schätze nicht nur ich als Privatperson (und gänzlich ohne eigenwirtschaftliche Interessen) die Situation ein; ich befinde mich in guter Gesellschaft: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz deckelt aus solchen (und womöglich weiteren) Überlegungen heraus im Solarpaket 1 die Fläche für FFPV. Demnach (Stand 16.08.2023) soll der zusätzliche Zubau von Photovoltaik auf landwirtschaftlich genutzten Flächen auf ein Maximum von 80 Gigawatt bis 2030 beschränkt werden. Ausgehend von diesen 80 Gigawatt ergibt sich bei einer Leistung von 1 Megawatt pro Hektar ein Bedarf von ca. 80.000 Hektar bundesweit. Und das wiederum entspricht ca. 0,2 Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik. In einem weiteren Ausbauschritt würde das Jahrzehnt bis 2040 geplant.
Kann Agri-PV eine Lösung sein?
Und was ist mit der Agri-Photovoltaik, die angeblich Landwirtschaft beziehungsweise Obst- und Gartenbau und Energiegewinnung so praktisch miteinander kombiniert und zusätzliches Einkommen aus dem
Stromertrag verspricht? Von „Doppelnutzen“ ist da die Rede. Die Anbieter von Agri-Photovoltaik (beispielsweise next2sund und Agrosolar) wissen die Varianten in bunten Grafiken gut zu präsentieren.
Der Clou bei den Agri-PV-Varianten ist, dass landwirtschaftliche Fahrzeuge unter aufgeständerten Modulen oder neben Solarzaun-Reihen fahren können.
Einen großen Vorteil hat Agri-PV gegenüber der normalen Freiflächen-Photovoltaik für Landwirte schon; die Flächen zählen nämlich weiter als landwirtschaftliche Nutzfläche (wenn mindestens 85 % so
genutzt werden) und werden steuerlich nicht als eigenes Unternehmen eingestuft. Diese Flächen behalten also ihren landwirtschaftlichen Status. Das ist auch relevant, wenn es ums Vererben
geht.
Agri-PV in der Praxis
Doch auch bei der Agri-PV melde ich Bedenken an – bei den hoch aufgeständerten Modulen genauso wie bei den vertikal wie ein Zaun aufgebauten bifazialen Modulen.
Wenn die Werbeversprechen zuträfen, müssten beispielsweise Beerenobstbauern schon längst Agri-PV auf ihren Erdbeerfeldern aufgestellt haben. Die Systeme sind ja schon seit einigen Jahren auf dem
Markt. Tatsache ist, dass erst sehr wenige Agri-PV-Projekte in die Praxis umgesetzt wurden. Vieles verharrt im Stadium des Modellprojekts. Auf Nachfrage konnten mir die Anbieter kein verwirklichtes
Projekt in für mich erreichbarer Nähe nennen. Abgesehen von finanziellen Erwägungen – hohe Investitionskosten, lange Abschreibungszeiten etc. – zögern Obstanbauer womöglich wegen pflanzenbaulicher
Überlegungen.
Den Werbeversprechen zufolge schützen aufgeständerte PV-Module Kulturpflanzen vor übermäßiger Sonneneinstrahlung, Starkregen und Hagelschlag. Das mag in manchen Jahren Vorteile bringen; auf manche
Kulturpflanzen mag sich der Schattenwurf durch die Module jedoch negativ auswirken, so dass sie nicht gut wachsen und der Ertrag niedriger als ohne ausfällt. Dieser Aspekt ist noch nicht gründlich
untersucht.
Agri-PV und die Fruchtfolge
Obstbauern zögern womöglich auch deswegen mit dem Aufstellen einer Agri-PV-Anlage, weil sie die Fruchtfolge erschwert. Dazu muss man wissen, dass Pflanzenbau nur mit einer angepassten Fruchtfolge
gelingt. Auf normalen Äckern wechselt jedes Jahr die Kultur; nur Feldfutter bleibt ein paar Jahre stehen. Die Fruchtfolgeregel gilt auch für Obst- und Gemüsekulturen. Obstgehölze werden alle paar
Jahre gerodet – Erdbeeren rasch nach zwei bis drei Jahren, Beerenobst und Spindelobstbäume stehen ein paar Jahre länger. Oft tauschen Obstbauern ihre Flächen mit anderen Landwirten, um den nötigen
Fruchtfolgeabstand der Kulturen einhalten zu können. Flächentausch von Landwirten untereinander wäre mit Agri-PV kaum noch praktikabel. Die Solarbedachung lässt sich nun einmal nicht von Feld zu Feld
versetzen, sie ist statisch, und das mindestens zwei Jahrzehnte lang. Eine vernünftige Fruchtfolge ließe sich so kaum noch planen.
Auf technischen Fortschritt vertrauen
Bevor noch mehr Äcker und Wiesen für Freiflächen-Photovoltaik und Agri-Photovoltaik in Anspruch genommen werden, muss die Gesamtsituation der Energieversorgung mit Erneuerbaren bedacht werden – der
voraussichtliche Energiebedarf, die Verteilung des Stroms (Netze regional, bundes- und europaweit), die Einspeisung, die Stromspeicherung und auf absehbare technische Fortentwicklungen, um zu einer
der Natur und der Landwirtschaft zuträglichen Lösung zu kommen. Sinnvoll wäre es, nicht von den Modulen und deren Platzierung in der Landschaft her zu denken, wie es derzeit fast ausschließlich
geschieht. Der Energiewende wäre mehr gedient, wenn von höherer Warte auf die Netze geblickt wird, auf die verschiedenen Kategorien von Stromleitungen (Höchstspannungs-, Hochspannungs-,
Mittelspannungs- und Niederspannungsleitungen) sowie die Einspeisemöglichkeiten. Denn nur über Leitungen und Umspannwerke gelangt der mit den PV-Modulen erzeugte Gleichstrom ins Netz.
Warum nicht auf den Fortschritt der Technik vertrauen? Effektivere, die Landwirtschaft und die Landschaft weniger schädigende und ressourcenschonendere Alternativen sind bereits in der Entwicklung. So wie auch in der Vergangenheit die Leistung der Photovoltaik-Module vervielfacht wurde. Dieser Prozess dürfte sich auch in Zukunft fortsetzen. Womöglich kann in naher Zukunft über Fassaden, Dächer, Parkplatzüberdachungen, Fahrspuren und sogar Bahngleise der Strombedarf gedeckt werden. So dass Äcker und Wiesen womöglich bald nicht mehr herhalten müssen für die Belegung mit Photovoltaik-Modulen und so ein freier Blick über die Landschaft erhalten bleibt.