Von Dr. rer. agr. Brunhilde Bross-Burkhardt
In diesem Artikel lenke ich den Blick auf die Vegetation, die nicht gepflanzt ist. Brennnessel, Ehrenpreis und Gundermann sind einfach da und erobern sich ihre Lebensräume. Die Wildpflanzen bereichern mit ihren vielfältigen Gestalten den Gartenraum und Siedlungsräume. Ein Bekenntnis zum Unkraut also? Nicht ganz.
Mit dem Unkraut auf Du und Du
Als studierte Vegetationskundlerin mag ich generell alle Pflanzen, auch diejenigen, die als „Unkräuter“ abgestempelt sind. Als gärtnernder Privatmensch bin ich allerdings etwas zwiespältig. Unkräuter
sind für mich, ich bekenne es, Lust und Last zugleich. In letzter Zeit schlägt das Pendel eher zur Last hin aus. Denn objektiv betrachtet vereinnahmt der Umgang mit dem Unkraut, mit dem überbordenden
Aufwuchs auf Gemüse- und Staudenbeeten und an Rändern doch ziemlich viel meiner knappen Zeit, die ich als gärtnernde Autorin überhaupt im Garten zubringen kann. Ich hadere manchmal mit mir, dass ich
eine solch nutzlose Arbeit verrichten muss und weit und breit niemand da ist, der sie mir abnehmen könnte. Sisyphos kommt mir da zwangsläufig in den Sinn. Vor Jahrzehnten musste ich mir solche
Gedanken noch nicht machen. Anfangs war mein Garten noch ziemlich unkrautfrei. Einmal in dieser Anfangszeit schlug ein extremer Hagelschlag alles Grüne klein. Da war ich froh um jedes spontan
aufkommende Kraut, das das bloße Erdreich bedeckte.
Der unkrautfreie Zustand war nur von kurzer Dauer. Rasch entwickelte sich eine vielfältige Vegetation, denn ich greife nicht allzu rigoros ein und lasse manche Pflanze stehen, die dann wieder aussamt und sich so vermehrt. Ich finde wild aufkommende Pflanzen mit ihren besonderen Gestalten ebenso ästhetisch wie Zierpflanzen. Ich mag die unverhofften Kombinationen von Stängeln, Blättern und Blüten, ich schaue die am Boden entlang kriechenden und die kletternden Gewächse gerne an.
Ich finde, dass mein leicht verunkrauteter Garten auch Ausdruck meiner Persönlichkeit ist, die Neues, Ungeplantes zulässt, die streng Geregeltes und Abgezirkeltes überhaupt nicht mag. Ich lasse der Natur gerne ihren Lauf. Das gibt mir Gelegenheit zu beobachten, wie sich die Vegetation entwickelt. Und da setzt mein fachliches Interesse wieder an.
Überall, wo ich mich aufhalte, ob zu Hause oder unterwegs, registriere ich, welche Arten an diesem speziellen Standort wachsen. Auf dieses Beobachten bin ich seit meiner Studienzeit getrimmt. Da habe ich Vegetation im Gelände kartiert. Die Vegetationszusammensetzung fasziniert mich, sowohl im räumlichen Nebeneinander als auch im zeitlichen Nacheinander. So finde ich es hochinteressant, über Jahrzehnte die Vegetationsentwicklung in meinem Garten beobachten zu können. Da ist ein Kommen und Gehen bei den Pflanzenarten. So war vor Jahren die Acker-Lichtnelke – ein betörend duftender Abendblüher – plötzlich auf meinen Gemüsebeeten da. Wärmeliebende Arten wie die Hühnerhirse oder der Vielsamige Gänsefuß sind ebenfalls eingewandert und breiten sich auf den Beeten aus. In Kästen und Töpfen kamen plötzlich einzelne Pflanzen des schön und lange blühenden Schmalblättrigen Hohlzahns auf. Den sehe ich sonst auf Bahndämmen. Der Hornfrüchtige Sauerklee mit seinen rötlichen Blättern und dottergelben Blüten hat sich schon länger in Töpfen und im Erdbeerbeet angesiedelt und hält sich hartnäckig dank einer effektiven Vermehrungsstrategie.
Manchmal kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob die schönen neuen Pflanzen wirklich „von alleine“ (also durch Zuflug, über Tiere als Transporteure, über verunreinigtes Saatgut oder mit Blumenerde) aufkamen oder ob nicht doch ich es war, die ihnen zum Einzug in meinen Garten verhalf. Denn ich streife oft durch die Botanik und bringe da absichtlich und unabsichtlich Samen mit …
Auch einige Kulturpflanzen sind verwildert und suchen sich ihren Platz. Ich bezeichne diese Arten gerne als Gartenvagabunden: die Süßdolde mit ihren farnartigen Blättern, die Kronen-Lichtnelke mit ihren samtigen bläulichgrünen Blättern oder der duftige Gelbe Lerchensporn.
Bei mir dürfen sie alle existieren. Doch etwas ausgrenzend verhalte auch ich mich. Die alles durchziehenden Wurzelunkräuter Acker-Schachtelhalm, Giersch und Acker-Winde, die viel Jätarbeit mit sich bringen, möchte ich nicht im Garten haben. Und Brombeerranken und Gehölzsämlinge entferne ich ebenfalls. Denn sonst würde mein Garten in kürzester Zeit zum Gebüsch und schließlich zu einer Art Wald.
Welches Verhältnis die Menschen zum Unkraut haben
In meiner Umgebung stehe ich mit meiner toleranten Einstellung zum Unkraut auf ziemlich verlorenem Posten. Ich brauche mich nur in den Gärten der Nachbarschaft umzuschauen. Da bleibt kein wild
aufkommendes Kraut stehen. Die Nachbarn, die ich insgeheim als „Kehrwochengärtner“ bezeichne, zupfen, rupfen und kratzen mit Inbrunst jedes Kraut aus den Fugen und hacken es vom Beet. „Unkraut“ muss
nach vorherrschender Vorstellung weg, es muss bekämpft werden. Der Garten soll aufgeräumt sein wie ein Wohnzimmer. Und dieses Ziel wird mit allen handwerklichen Mitteln und sehr viel körperlicher
Energie verfolgt. Die harmlose Taubnessel wird genauso ausgerissen wie die Wilde Waldrebe oder der Efeu. Wenigstens nehmen die Kehrwochengärtner keine Herbizide, sondern gehen mechanisch vor und
verbringen so ihre Tage auf Kissen oder Knieschonern knieend dem Unkraut hinterherarbeitend. Irgendwie kann ich es da schon verstehen, dass sie, wenn ihnen das Knien doch zu viel wird, gleich den
Garten zupflastern oder zuschottern, um diese Mühe des Unkrautjätens vom Hals zu haben.
Ich weiß, dass ich an der Einstellung der Kehrwochengärtner nichts ändern kann. Reden und vormachen hilft da nicht. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mir kopfschüttelnd vorzustellen, wie diese
Menschen die Vegetation und insbesondere die wild wachsende Vegetation um sich herum überhaupt wahrnehmen. Wer einen Garten bewirtschaftet, ist zwangsläufig mit ihr konfrontiert. Doch wahrscheinlich
ist es für sie nur eine undefinierbare Masse. Manchmal höre ich Begriffe aus der Fäkalsprache, wenn sie von Pflanzen sprechen. „Dreck“ ist noch ein äußerst harmloser Ausdruck. Die Kehrwochengärtner
wollen gar nicht wissen, wie die Arten heißen, geschweige denn, wie sie sich vermehren, wie groß sie werden, wie stark sie Nutz- und Zierpflanzen bedrängen. Ich stelle mir vor, dass unkontrolliert
wachsende Vegetation Urängste von Verschlungenwerden in ihnen weckt. Ein weites Feld für die Tiefenpsychologie tut sich da auf.
Mit meinen Überlegungen bin ich übrigens in guter Gesellschaft: Hermann Hesse hat sich im „Steppenwolf“ ebenfalls damit auseinandergesetzt, wie andere Leute Pflanzen wahrnehmen:
„Man stelle sich einen Garten vor, mit hunderterlei Bäumen, mit tausenderlei Blumen, hunderterlei Obst, hunderterlei Kräutern. Wenn nun der Gärtner dieses Gartens keine andre botanische Unterscheidung kennt als „essbar“ und „Unkraut“, dann wird er mit neun Zehnteln seines Gartens nichts anzufangen wissen, er wird die zauberhaftesten Blumen ausreißen, die edelsten Bäume abhauen oder wird sie doch hassen und scheel ansehen. ...“ (zitiert aus Suhrkamp Taschenbuch 175, Auflage 1975, S. 73)
Was die Sprache mit der Flora macht
Man kann sich dem Unkraut auf sprachlicher Ebene nähern, über die Vorsilbe „un“ mit ihrem abwertenden Beiklang sinnieren, die Redewendung „Unkraut vergeht nicht“ heranziehen, die auf Menschen gemünzt
ist, denen nichts passiert, die so schnell nichts umhauen kann, die sich unter widrigen Umständen behaupten. Wer von Unkraut spricht, meint damit Kraut im Plural. Entweder viele Pflanzen einer Art
oder verschiedener Arten.
Der Duden versteht unter Unkraut zwischen Nutzpflanzen wild wachsende Pflanzen. Diese Definition bezieht sich auf den Ackerbau und den Gartenbau. Doch nach allgemeinem Verständnis zählen auch solche Pflanzen, die wild am Wegrand, zwischen Pflastersteinen oder unter der Hecke wachsen, dazu. Der Kehrwochengartenmensch versteht unter Unkraut alle Pflanzen, die ihn stören, die seinem Ordnungssinn, seinem Sauberkeitswahn zuwiderlaufen.
Ökologinnen und Ökologen sehen das anders. Für sie sind Unkräuter natürlicher Teil der angestammten Flora. Da hat jedes Kraut seine Bedeutung und seinen Platz im ökologischen Gefüge. Und die Biobauern? Die sprechen eher von Beikräutern. Damit einher geht die Beikrautregulierung, ein Begriff, der das Tun freundlicher klingen lassen soll. Doch das Vorgehen bleibt dasselbe. Auch Biobäuerinnen und Biobauern müssen pflügen, grubbern, hacken, abflammen und das Unkraut mit allen ökologisch verträglichen Mitteln bekämpfen. Denn sonst würden die konkurrenzkräftigen Unkräuter die schwächeren Nutzpflanzen bedrängen oder verdrängen, so dass es nichts mehr zu ernten gibt. Im professionellen Anbau geht es ohne Unkrautbekämpfung beziehungsweise Beikrautregulierung nicht; die Menschheit will schließlich ernährt werden. Doch im privaten Umfeld gibt es diesen Druck nicht. Schon gar nicht in den vielen Gärten, in denen gar keine Nutzpflanzen mehr angebaut werden. Den Gundermann unter Rosenstöcken wachsen zu lassen wäre schon ein Anfang für einen toleranteren Umgang mit dem Unkraut.
Literatur zum Thema:
Brunhilde Bross-Burkhardt: Viel Garten – wenig Zeit. Haupt Verlag, Bern 2019
Brunhilde Bross-Burkhardt: Lob des Unkrauts. Wilde Pflanzen in Garten und Stadt – nützlich und schön. Haupt Verlag, Bern 2015