Caritaspflegeheim im Schloss – Aus den Tagebuchnotizen eines Heimleiters im Jahr 1945/46

Von Erwin Rosner

(Das Typoskript der Tagebuchnotizen übergab mir Ursula Wollmann, eine der Töchter von Erwin Rosner; einige Passagen veröffentliche ich auf dieser Seite.)

 

 

15.12.1945 – Die Männer vom Caritasverband, die mir den Auftrag gaben, werden sich kaum Illusionen hingegeben haben; ich auch nicht.

Das Schloss ist mehr als 200 Jahre alt; es ist ein ritterlich-romantisches Bild – von weitem. In der Nähe zerreißt der Zauber. Viele leere Fensterhöhlen, hier und da Bretterverschläge, das ist schadhaft, es friert einen beim Anblick. Sturm peitscht den Schnee herein.

Ein kleines Zimmer hat noch einen Ofen und ganze Scheiben. Da werfe ich den Rucksack ab.

20.12.1945 – Bilder von Zerstörung sind wir gewöhnt, man ist stumpf dagegen geworden. Hier aber ist das unsere eigenste Angelegenheit, denn ein Heim für kranke und gebrechliche Flüchtlinge soll entstehen. Auf Fluren, den Zimmern, in den Kellern, überall ein Bild der Verwahrlosung. Mein Merkbuch füllt sich.

Geschosse haben sich eingezeichnet, große Löcher sind in den Wänden, an der Decke, auf dem Dache. Einige Räume sind vorläufig unbrauchbar. Die Waschanlagen sind zerschlagen, Klosettschüsseln fehlen, die Küche ist eine Räuberhöhle, der Kohlenraum voller Unrat. Ich notiere: Zimmermann, Maurer, Gipser, Flaschner, Schreiner, Glaser, Elektriker.

23.12.1945 – In der Weihnacht allein. Gepriesen seien die Arbeitstage mit ihrem Ärger und ihrer Last! Man kommt nicht zum Nachdenken und achtet des unruhig schlagenden Herzens nicht.

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5.1.1946 – Ein großer Tag! Ein Caritaswagen brachte uns Bettstellen, Matratzen, Tische, Stühle. Wir geben eine große Wunschliste mit. Ich habe mir einen Reiseplan in die umliegenden Dörfer zurechtgelegt. Vor einer Versammlung von Geistlichen werde ich über unser Werk sprechen, weitere Gemeinden sollen für uns sammeln. Ein Kinderheim schenkt uns Bettwäsche aus seinen Beständen. Der erste Krug ist hier, zwei große Töpfe werden gespendet. In der Küche steht ein Kessel unbekannter Herkunft. Wenn nur der Zimmermann endlich käme, ohne ihn können die anderen Handwerker nicht schaffen.

Ich borge mir einen Handwagen und fahre durch die Dörfer. Auf alten Decken breite ich das gespendete Obst aus. Beim Aufräumen des großen Kellers finden wir Flaschen und Gläser zum Einwecken. Eine Frau muss ins Haus, sonst beginnt der gesammelte Reichtum zu faulen.

16.1.1946 – Die Behörden wollen helfen. Kohle ist uns zugesagt. Holz ist mit Hilfe des Bürgermeisters in Gemeinschaftsarbeit von verschiedenen Bauern angefahren.

Jede Zeit hat ihre Wohltäter, aber die Wohltagen wandeln sich. Jener Zugezogene, der mir eine Schreibmaschine borgt, weiß nicht, welche Last er mir abnimmt.

Eine Firma hat uns Wolldecken geliefert: Bettfedern habe ich aufgetrieben. Inlett ist uns versprechen. So muss einem Goldgräber zumute gewesen sein, wenn er das gleißende Metall fand.

Ich bin auf der Suche nach Mitarbeitern: aus dem Kreise der Flüchtlinge und Vertriebenen will ich sie nehmen.

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10.2.1946 – Der Glaser hat endlich begonnen, er kommt rasch voran. Wie werden wir diese Riesenräume zu heizen sein?

Der Küchenherd ist neu verklebt, aber ich traue dem alten Gesellen nicht. Wir können schon 40 Pfleglinge unterbringen, wenn unsere Toilettenanlagen in Ordnung wären, wenn wir genügend Küchengerät hätten.

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Den Putzfrauen frieren die Lappen an den Treppengeländern fest. Der Nordwind jagt den Schnee durch die Fensterhöhlen. Und das soll ein Pflegeheim für kranke und alte Leute werden?

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